Meine Selbstversorgertour auf dem GR 20 Nordteil im Oktober von Calenzana nach Vivario bescherte mir ein forderndes Abenteuer im wilden Hochgebirge auf Korsika.
Der GR 20 auf der französischen Mittelmeerinsel Korsika stand schon seit vielen Jahren auf meiner Bucket List. Sein legendärer Ruf als einer der schönsten und anspruchsvollsten Fernwanderwege Europas war natürlich auch für mich extrem verlockend. Da es aber dadurch auch eine der überfülltesten Wanderrouten in Europa ist, entschied ich mich für eine Selbstversorgertour in der Nachsaison, wenn die Berghütten nicht mehr bewirtschaftet sind.
Außerdem plante ich nur den GR 20 Nordteil, der schwerer und wilder, vor allem aber auch einsamer ist. Nur zweimal gelangst du auf diesem Abschnitt an Straßen, und bist sonst ohne Unterbrechungen in der unfassbar schönen und rauhen korsischen Hochgebirgswelt unterwegs. Start und Ziel lassen sich zudem dank der Nähe zu Bahnhöfen auch in der Nachsaison gut erreichen.
Inhalt
Tag 1: Calenzana – Refuge de Carrozu (19,5 km, 10:30 h)
Vor Beginn meiner Selbstversorgertour auf dem GR 20 Nordteil hatte ich einige schöne Tage im attraktiven Küstenort Calvi verbracht. Dies ist die Endstation der Bahnlinie Bastia – Calvi, sodass du hier gut hinkommst. Das Ende des Ortes bildet eine Festungsanlage, die ich unterwegs auf dem GR 20 Nordteil noch sehr häufig in der Ferne erkennen konnte.
Zum Startpunkt des GR 20 in Calenzana gelangst du notfalls zu Fuß in 8 Kilometern vom Bahnhof U Fiumeseccu Alzeta (Gr20). Ich gönnte mir aber ein Taxi aus Calvi für 40 Euro. Dadurch erhielt ich gleich einen ersten Eindruck vom Overtourism am GR 20. Denn der Taxifahrer, der ja eigentlich seinen Lebensunterhalt damit verdient, beschwerte sich direkt über die viel zu vielen Wanderer, die jedes Jahr über die Region herfallen. Auch jetzt in der Nebensaison fielen die Leute mit ihren Trekkingrucksäcken überall ins Auge, sodass ich wirklich nicht wissen will, was hier von Mai bis September los ist.
- In unmittelbarer Nähe des Startpunkts in Calenzana übernachten kannst du im günstigen a Casa* mit Selbstversorgeroption.
Am Ortsende von Calenzana begann der hier erst mal gemütlicher Aufstieg ins korsische Hochgebirge. Schon bald hatte ich tolle Weitblicke über die gesamte Nordküste. Entlang alter Steinmauern gewann ich kontinuierlich an Höhe und erreichte bald mit der Bocca di U Ravalente einen ersten kleinen Pass. Auch dahinter ging es erst mal gemütlich weiter durch eine lange Bergflanke, an deren Ende ich durch Wald aufstieg bis zum zweiten, schon deutlich höher gelegenen Pass Bocca à U Saltu (1.250 m).
Jetzt zeigte der GR 20 Nordteil auch gleich sein wahres Gesicht: Der Weg war jetzt stellenweise ausgesetzt und ich kraxelte teilweise sehr steil über Fels hinauf zum nächsten Pass Bocca à U Bassiguellu (1.486 m). Kurz darauf gelangte ich in den Parc naturel régional de Corse.
Der Weg war jederzeit gut markiert, aber einfach nicht zu erkennen. Hier zeigte sich auch schon direkt ein Kernproblem des GR 20: Weil er so intensiv begangen wird, sind viele alte Wegverläufe zerstört und immer wieder erneuert worden. In dem Geflecht aus alten und neuen Verläufen ist es dann echt nicht leicht, den aktuellsten Pfad auszumachen.
War ich eben noch in der Sonne gegangen, hatte ich jetzt schon so viel Höhe erreicht, dass ich in Wolken geriet, die über dem Pass festhingen. Von der schönen Landschaft sah ich also nicht viel auf dem Übergang zur ersten Hütte.
So erreichte ich das Refuge Ortu di u Piobbu in der Mittagszeit, das auf einer schönen Hochebene liegt. Das war gerade abgerissen worden und es erfolgt offensichtlich ein Neubau. Für das Etappenende war es mir jetzt noch viel zu früh. Ich zapfte mir daher frisches Wasser an der nahegelegenen Quelle und machte mich wieder auf in den Nebel.
Nach der Hütte ging es zunächst an Gesteinsplatten entlang über viel Geröll, aber ganz vernünftigem Weg hinauf zum nächsten Pass unterhalb der Punta Pisciaghia, wo ich das erste Mal die 2.000er-Marke knackte und den höchsten Punkt des heutigen Tages erreicht hatte. Somit hatte ich schon etwa 1.800 Höhenmeter auf dem Tacho.
Das folgende Stück emfpand ich als ziemlich heftig. Nicht unbedingt wegen der zunehmenden Nässe und der teilweise völlig abgefahrenen Wegführung über Gesteinsrücken und durch Gesteinsspalten hindurch. Das Kernproblem der zertrampelten und toten Wege machte mir vielmehr auch hier wieder das Fortkommen schwer und nahm einfach sehr viel Zeit in Anspruch. Abschnittsweise ging es aber auch recht gut zu gehen auf einem etwas eindeutigeren Pfad direkt unterhalb des folgenden Grates, der mich schließlich zur Bocca Innominata brachte.
Jetzt ging es das letzte Stück wenigstens nur noch bergab, wenngleich auch sehr steil und über die zerstörten Hänge, bis ich schließlich das auf einer kleinen Freifläche zwischen Felsschluchten errichtete Refuge de Carrozu erreichte. Es war auch höchste Zeit, denn jetzt gegen 19 Uhr setzte die Dämmerung ein. Somit konnte die schöne Terrasse zwar nicht mehr genießen. Da hier gerade die Aufräumarbeiten zum Saisonende stattfanden und noch einige Arbeiter anwesend waren, hatte ich aber Glück und es gab eine warme Dusche.
In der Hütte zu übernachten hatte ich hingegen keine Lust, und spannte auf einem der zahlreichen Stellplätze als Einziger flugs mein Zelt auf. Für eine warme Mahlzeit war ich nach diesem langen und anstrengenden Tag zu erschöpft und legte mich bald schlafen.
Tag 2: Refuge de Carrozu – Haut Asco (5,5 km, 5:30 h)
Den zweiten Tag meiner Selbstversorgertour auf dem GR 20 Nordteil im Oktober startete ich erst mal mit einem kräftigen warmen Frühstück, bestehend aus Instant-Porridge. Das war auch nötig, denn mich erwartete eine sehr anstrengende Etappe mit viel Kletterei. Es sollte aber auch ein schöner sonniger Tag werden.
Ich stieg zunächst ins Spasimata-Tal ab, was direkt schon Kraxelei über große Felsen mit Eisenketten bedeutete. Hier erwartete mich eine wacklige Hängebrücke hoch über dem Gebirgsbach. Nun folgte ein ewig langer Aufstieg das Bachtal hinauf. Immer wieder halfen Sicherungen über den Fels und der Talkessel bot einen tollen Blick über Wasserfälle bis zur Bocca di Muvrella (1.987 m) hoch oben, dem ersten Etappenziel.
Der Pass war nicht sonderlich aussichtsreich, bot aber Gelegenheit, mich etwas von dem kräftezehrenden Aufstieg zu erholen. Es folgte der vergleichsweise leichte Übergang durch die Muvrella-Flanke bis zur etwas niedriger gelegenen Bocca di Stagnu (1.979 m), von wo ich dann auch einen tollen Weitblick genießen konnte mit der Hochebene von Haut Asco tief unter mir. Hier befindet sich die nächste GR-20-Hütte und eines der beiden winzigen Skigebiete Korsikas mit Hotel.
Jetzt galt es, den steilen Abstieg nach Haut Asco zu bewältigen mit dem üblichen Gekraxle über Felsen und Gesteinsplatten durch ziemlich kaputt gelaufene Hänge. Das letzte Stück ging es dann noch durch lichten Nadelwald, bis ich an der Straße stand, die zum Plateau de Stagnu hinauf führt. Es war noch recht frühe Mittagszeit. Nach dem 10-Stunden-Klopper des Vortags war für mich aber klar, dass ich die heutige Etappe hier beende und wieder etwas Kräfte generiere für den sehr langen nächsten Tag.
Die Straße brachte mich zum Refuge Asco Stagnu, das wenig attraktiv direkt an der Skistation neben dem Lift liegt und ziemlich renovierungsbedürftig wirkt. Auf der anderen Seite der Station lockte mich aber das Hotel Le Chalet mit seinem verführerischen Angebot, sodass ich auf die Zeltnacht heute eine Hotelübernachtung mit Halbpension folgen ließ.
Das Hotel hat saftige Preise dafür, dass es ein eher einfaches Haus ist. Aber es ist offensichtlich recht neu renoviert und der Blick von der Terrasse das weite Asco-Tal hinab ist genial. Außerdem ist das in der Nebensaison deine einzige Chance auf eine Hotelübernachtung im GR 20 Nordteil. Hier gibt es übrigens auch einen kleinen Shop, in dem zu ebenfalls saftigen Preisen deine Trekkingverpflegung aufstocken kannst.
Tag 3: Haut Asco – Refuge Ciuttulu di i Mori (15 km, 10 h)
Die heutige Tour würde sehr lang werden und führte mich auf den höchsten Punkt des GR 20. Es war aber unterm Strich eine schöne und eher leichte Wanderung. Vielleicht empfand ich es auch nur so, weil ich mich jetzt am dritten Wandertag auf dem GR 20 Nordteil einfach an das unwegsame Gelände gewöhnt hatte. Andererseits ist hier die Wegführung noch relativ neu, sodass die Hänge auch noch nicht ganz so kaputt gelaufen sind. Damit war das Fortkommen einfach wesentlich entspannter. Früher führte die Tour durch den benachbarten Cirque de la Solitude, und seit einigen Jahren stattdessen durch den wunderschönen Cirque de Trimbolaccio in direkter Nachbarschaft des höchsten korsischen Berges Monte Cinto.
Los ging es also erst mal mit dem Anstieg gen Pointe des Éboulis, dem höchsten Punkt des GR 20. Dafür galt es 1.200 Höhenmeter zu überwinden. Das erste Stück führte mich das Tighiettu-Tal hinauf, wo ich den Zustieg zur Brücke über den Bach direkt mal verpasste. Und das, obwohl ich sie schon die ganze Zeit vor Augen gehabt hatte. Also ging es wieder ein Stück zurück und endlich brachte mich die Brücke über einen der zahlreichen kleinen Wasserfälle.
So gelangte ich in den majestätischen Cirque de Trimbolaccio, eines der absoluten Highlights auf dem GR 20 Nordteil. Ich passierte den riesigen Talkessel hoch oben in der Flanke von Capu Borba und Bocca Borba und gelangte in die von Wasserläufen durchzogene Mondlanschaft weit über der Baumgrenze. Beim letzten Aufstieg zum Pass Pointe des Éboulis (2.607 m) begegnete mir das Wasser überwiegend als Eis, und die gefrorenen Wasserfälle waren wunderschön anzuschauen.
Nun war es nicht mehr allzu weit bis zum Pass und damit dem höchsten Punkt auf dem GR 20. Über reichlich Geröll erreichte ich ihn und kriegte die Wetterscheide gleich mal durch kräftigen Gegenwind zu spüren. Ich fand aber eine Kuhle an einem Felsen mit Windschatten und nistete mich hier für eine Rast ein.
Hier unterhalb des Monte Cinto erwartete mich jetzt der großartige Blick in die weit auslaufende Hochebene des Golo-Tals mit dem Calacuccia-See. Hier befindet sich auch die Universitätsstadt und ehemalige Hauptstadt der Insel Corte.
Der GR 20 hingegen führte mich jetzt auf einem tollen und nicht zu anspruchsvollen Gratweg im sanften Abstieg bis zur Bocca Crucetta (2.456 m) und damit hinüber ins Crucetta-Tal. Auf dem Gratweg konnte ich derweil noch den Lac du Cinto aus nächster Nähe bewundern. Er liegt ganz am Ende eines Talkessels und speist den Erco, der durch Corte fließt.
Der Abstieg ins Crucetta-Tal fiel mir relativ leicht, obschon er sehr steil war. Ein bisschen nervig war, dass hier doch einige Wanderer unterwegs waren, sodass ich an schwierigen Stellen warten musste, bis der Vordermann weiter war. Hauptsächlich über Schotter näherte ich mich wieder der Baumgrenze und den alsbald wieder grünen Auen, bis ich unterhalb des Refuge de Tighettu angekommen war. Kurz liebäugelte ich damit, am ausladenden Flussufer das Zelt aufzuschlagen. Aber es war noch sehr früh und ich in sehr guter Verfassung, sodass ich entschied, bis zur nächsten Hütte weiterzugehen.
Kurze Zeit später passierte ich die bereits geschlossene Bergerie de Ballone, wo sich ein paar Wanderer gerade daran machten, ihr Biwak aufzuschlagen.
Nun folgte ein recht langes sanftes Stück durch das Flusstal und lichten Mischwald, währenddessen sich das Wetter wie angekündigt zunehmend eintrübte. Der Weg führte mich aus dem Bachtal hinaus ins nächstgelegene Foggialle-Tal, wo ich mich jetzt anschickte, den gleichnamigen Pass zu erklimmen. Nach dem entspannten vorhergehenden Abschnitt wurde es jetzt nochmal richtig anstrengend und zunehmend felsig mit einigen Kletterstellen. So arbeitete ich mich in den Nebel über Kuppe um Kuppe und überwand etwa 600 Höhenmeter, bis ich endlich auf der Bocca di Foggialle (1.963 m) stand.
Völlig sichtfrei navigierte ich von Markierung zu Markierung, jetzt zum Glück auf einfachem Weg und ohne große Höhenunterschiede, bis ich alsbald die ersten Zeltplätze des Refuge Ciuttulu di i Mori erreicht hatte. Ich war schon wieder in die Dämmerung geraten und es wurde schlagartig dunkel.
Was gibt es Schöneres, als eine brechend volle Hütte? Aber irgendwohin mussten die ganzen Wanderer ja, die wie ich eine Off-Season-Tour auf dem GR 20 machten. Um für mehr Privatsphäre das Zelt aufzuschlagen, war es schon zu dunkel, außerdem hatte es angefangen zu regnen und der Nebel war jetzt so dicht, dass man die Hand vor Augen nicht sah.
Immerhin erwartete mich in der Hütte ein riesiges Lager, Gas und dankenswerterweise sogar Stromversorgung, sodass ich meine Powerbank nachladen konnte. Die Waschräume waren schon verriegelt, aber direkt vor der Hütte war die Quelle, wo ich mich mit Reiseseife wieder herrichtete und bettfertig machte. Noch eine kräftige Tütensuppe, und gute Nacht!
Tag 4: Refuge Ciuttulu di i Mori – Refuge de Mangano (25 km, 9 h)
Auch am nächsten Morgen hielt sich das schlechte Wetter zunächst. Der vierte Wandertag meiner Selbstversorgertour auf dem GR 20 Nordteil war also erst mal von gedämpfter Stimmung geprägt. Ein schwaches Handysignal erlaubte neue Wetterdaten zu laden und diese versprachen immerhin Besserung im Laufe des Vormittags. Am nächsten Tag würde es allerdings durchgängig Starkregen geben, sodass ich noch keine rechte Idee hatte, was ich machen sollte.
Wärend ein Großteil der Wandermeute schon aus der Hütte in den Regen gestiebt war, wollte ich das lieber aussitzen und frühstückte ganz gemütlich. So konnte ich überhaupt erst mal bei dem sich lichtenden Nebel sehen, auf was für einer genialen Hangkante das Refuge errichtet worden ist und wie überwältigend der Blick von der Terrasse bei schönem Wetter sein kann.
Was jetzt folgte, war die absolute Traumetappe! Bei aufreißendem Himmel verließ ich gegen 11 Uhr die Hütte und machte mich an den gemütlichen Übergang auf dampfenden Hängen ins Golo-Tal. Das ist vor allem für seine riesigen Gumpen bekannt, die fast alle Wanderer für ein Bad nutzen. Mir war es jetzt im Oktober viel zu frisch dafür, aber manch anderen schreckte das nicht ab.
Am Golo-Ursprung scheit die Wegführung gerade deutlich überarbeitet zu werden. Aufgrund des altbekannten Problems mit zerlatschten Hängen und unzähligen alten kaputten Wegverläufen und Markierungen dachte ich, ich müsste die Furt eines früheren Wegverlaufs nehmen. Dennoch erreichte ich das andere Flussufer fast trockenen Fußes, nur um kurz darauf an einer nagelneuen Brücke zu stehen, die mich direkt wieder zurück auf die andere Seite führte. In Zukunft soll dann der GR 20 wahrscheinlich vom Refuge der Falllinie folgen und nicht mehr die sanfte Schleife oberhalb des Golo machen.
Ich folgte dem wunderschönen und wilden Flusstal weiter, bis mich eine ebenfalls nagelneue Brücke wieder übersetzen ließ. Oberhalb der Bergeries Radule, die jetzt im Oktober schon geschlossen war, überquerte ich den mittlerweile schon recht breiten Fluss ein weiteres Mal zwischen zwei Gumpen.
Als der Fluss nach Westen abzweigte, führte mich ein letztes sanftes Stück den Wald hinab zur zweiten und letzten Passstraße, die auf dem GR 20 Nordteil tangiert wird zur Siedlung Castel de Vergio unterhalb des Touristen-Hotspots Col de Vergio. Hier gibt es allerlei touristisches Angebot mit Hotel und Camping, das jetzt Anfang Oktober allerdings alles schon verlassen da lag. Schade, denn ich hatte gehofft, hier vielleicht den kommenden Regentag aussitzen zu können. Auch die zweite Hoffnung zerschlug sich im Winde, da der hiesige Bus offenbar weit im Voraus reserviert werden muss, wie mir eine unfreundliche Dame am Telefon erörterte.
Da blieb mir nur eins übrig: Zügig zum nächsten Refuge, um es noch vor Einbruch der Nacht zu erreichen, und den Regentag dort aussitzen. Dafür führte mich der GR 20 zunächst auf leichtem Weg über die Crête de Scupertu, die nicht als Berg wahrnehmbar ist. Danach folgte ein kurzer Aufstieg im Wald bis zu einer kleinen Kapelle bei einem Strommast an der Bocca San Pedru (1.442 m). Mittlerweile hatte Himmel so weit aufgerissen, dass mir die Sonne den Rest der Etappe noch etwas versüßte.
Auf dem Bergrücken der Serra San Tomaghiu ging es nicht allzu anspruchsvoll weiter auf schönem Weg mit leichter Kletterei. Jetzt erreichte ich ein weiteres der absoluten Highlights auf dem GR 20 Nordteil, die Hochebene des Lac de Nino. Gesäumt von Hochmooren und mit Rundum-Panorama über die höchsten Gipfel Korsikas, ist die langgezogene Ebene ein paradiesischer Ort.
Ich spazierte jetzt auf dem nassen Weg den See entlang und weiter am Ufer des Tavignano entlang, der vom Lac de Nino gespeist wird. Das war kein ganz leichtes Unterfangen, da ich sehr darauf achten musste, nicht im Moor stecken zu bleiben. Der Wegverlauf der GR 20 stand teilweise unter Wasser.
So näherte ich mich der Bergerie de Vacchagja, wo auch nichts mehr los war, aber in der Umgebung begrüßte mich reichlich Weidevieh. Hier zweigt der GR 20 vom Tavignano nach Süden ab und gewinnt im Nachbartal nochmals etwas an Höhe. Der Weg führt dabei über die unmerklich passierte Bocca d’Acqua Ciarnnente auf den letzten Kilometern bis zum Refuge de Manganu.
Wieder genau mit Einteten der Dunkelheit erreichte ich die Hütte, wo ich zwei Nächte verbringen musste. In Anbetracht des angekündigten Starkregens war Zelten auch wieder keine Option. Einige Wanderer hatten sich schon hier eingefunden und sammelten Feuerholz für den großen Kamin, damit wir am Regentag wenigstens nicht frieren mussten. Ich packte noch etwas mit an, bevor es stockdunkel geworden war.
Stromversorgung gab es auf der Hütte leider nicht, und wie immer in der Nachsaison waren die Waschräume bereits verschlossen. Doch auch hier befindet sich direkt neben der Hütte eine Quelle, sodass ich mich im Schutz der Dunkelheit ordentlich waschen konnte, bevor ich mich in mein Nachtlager verkroch. Mitten in der Nacht kamen noch die letzten Wanderer an.
Den Regentag saßen wir als kleine verschworene Gemeinschaft von etwa 15 Herren dann gemeinsam aus. Tatsächlich schlief ich die meiste Zeit, denn ich spürte die vier Etappen auf den teilweise sehr viel Konzentration und Kondition fordernden Wegen schon in den Knochen. Die restliche Zeit hatte ich durch die Zwangspause endlich mal wieder Gelegenheit, in Ruhe zu schmökern.
Tag 5: Refuge de Mangano – Vivario (25 km, 10 h)
Nach dem unfreiwilligen Ruhetag erwartete mich der fünfte Wandertag auf dem GR 20 Nordteil mit wieder recht gutem Wetter. Allerdings war es klar, dass es nur einen Tag halten würde. Einen zweiten Regentag auf einer Hütte auszusitzen hatte ich überhaupt keine Lust, aber momentan fehlte mir noch die Idee, wie ich heute schon einen Endpunkt erreichen könnte, um die Tour abzuschließen.
Meine Mitwanderer waren offenbar alle panikartig bei Tagesanbruch aus der Hütte gestoben. Ehrlich gesagt genoss ich die Ruhe aber sehr und bereitete mir erst mal entspannt mein übliches warmes Porridge-Frühstück zu. Vom Refuge de Manganu ging es dann erst mal auf gutem Weg bis zum Ende der Hochebene. Hier begann der knackige Anstieg zur Bocca alle Porte (2.225 m).
Hier erwartete mich eine weitere heftige Klettertour durch Felsspalten, über Geröll und Abhänge. Belohnt wurde ich mit dem Blick auf den Lac de Capitello, den ich jetzt hoch oben im Übergang zur Bocca a Soglia (2.026 m) flankierte. Auch das war nur ein Zwischenziel, sodass ich kaum Gelegenheit zum Verschnaufen hatte. Auf weiterhin kriminellem Weg kraxelte ich oben am Lac de Melo vorbei und musste dabei nochmals an Höhe gewinnen, bis ich erleichtert die Bocca Muzzella (2.206 m) erreicht hatte. Hier konnte ich bereits die nächste Berghütte ausmachen, das Refuge de Petra Piana.
Nach kurzem Abstieg hatte ich die Hütte schnell erreicht, die auch wieder mal total genial auf einem Vorsprung am Kopfende des Manganello-Tals liegt. Ich legte auf dessen Terrasse eine Pause ein, und traf ein paar Wanderkollegen von der letzten Hütte an, die sich hier offenbar schon wieder für das bevorstehende schlechte Wetter einigelten.
Das kam für mich überhaupt nicht infrage, da es noch sehr früh und ich gerade schön warm gelaufen war nach dem Herumliegen des vorhergehenden Regentages. Aber wohin sollte ich jetzt gehen? Da hatte ich endlich eine Idee, die ich noch realistisch bis zum Tagesende bewältigen konnte: Einfach dem Manganello-Tal bis ans Ende zu folgen.
Der GR 20 teilt sich hier auf in eine Variante durch das Tal und eine Variante über den Grat. Da es aber eh sehr diesig war, hätte mir die Gratwanderung nicht viel Spaß gemacht. Gegen Ende des Manganello-Tals macht die Tal-Variante wieder die Schleife hinauf ins Hochgebirge zur nächsten Hütte. Das wäre aber zu lange geworden. Die Wettervorhersage hatte ja auch für den nächsten Tag wieder starken Regen angekündigt und ich wollte sowieso nicht noch einen Tag in einer Hütte aussitzen. Doch die letzte Schleife konnte ich mir ja einfach sparen und direkt in einen der Talorte weiter absteigen. Prima!
Frohen Mutes über meinen Plan machte ich mich an den Abstieg durch das sehr reizvolle Manganello-Tal. Er führte mich an Wasserfällen vorbei auf nicht mehr allzu schwerem, wenngleich auch hier ziemlich ausgelatschtem Weg in Mischwald hinein. Mit nun nur noch wenigen Höhenmetern konnte ich in zügigem Tempo das Flusstal durchschreiten bis zur Bergerie de Tolla. Kurz darauf führte mich eine Brücke über den wild rauschenden Manganello, der vom Starkregen reichlich Wasser führte.
Auf der anderen Seite der Brücke verließ ich jetzt den GR 20 gemäß meines Planes, in einen Talort abzusteigen. Entlang des wilden Flusstales erlebte ich jetzt einen schönen Ausklang für meine Wanderung auf dem GR 20 Nordteil und passierte die schöne Cascade du Meli. Endlich auch mal wieder keine kaputtgelatschten Wege, sondern einfach ein guter Weg durch den Wald!
Nicht allzu viel Zeit später erreichte ich die Zivilisation in Canaglia, einem verschlafenen Bauerndorf. Unterhalb des Ortes mündet der Mangenello in den Vecchio. Das Vecchio-Tal wiederum ist eine der Hauptverkehrsadern der Insel, es verbindet die Universitätsstadt Corte via Eisenbahn mit dem wichtigen Küstenort Bastia im Norden und der Hauptstadt Ajaccio im Süden.
Somit hatte ich jetzt mehrere Optionen. Der kürzeste Weg zu einem Hotel wäre die Casa Alta* in Vizzavona gewesen, die auch in der Nebensaison auf hat. Vizzavona ist ja das offizielle Ende des GR 20 Nordteil und somit ein Trekking-Hardcore-Ort mit Busbahnhof und allem was dazu gehört. Ich hatte gerade aber überhaupt keine Lust mehr auf das ganze Trekking-Umfeld und die Trekking-Gespräche am Abend.
Deswegen folgte ich dem Vecchio-Tal nicht nach Süden, sondern nach Norden in den Ort Vivario, der ebenfalls einen Bahnhof hat. Das ist ein kleines, aber sehr hübsches Bergdorf mit dem Hotel U Campanile. Nach einer Weile konnte ich die Straße verlassen und die letzten Kilometer auf einem sogar nochmal ganz hübschen Naturweg gehen, vorbei an einer alten Burg, bis ich schließlich den Ort erreichte.Hier quartierte ich mich für zwei Nächte mit Halbpension ein und gönnte meinem Körper eine Regenerierungsphase. Ein schöner Abschluss für meine Selbstversorgertour auf dem GR 20 Nordteil, sich hier ein bisschen verwöhnen zulassen.
GR 20 Nordteil Vorbereitung
GPS-Route GR 20 Nordteil
Last Updated on November 1, 2024 by Raffaele